Die Rote Liste bedrohter Tierarten wird immer länger: Jede zehnte Tierart in Deutschland ist vom Aussterben bedroht, weltweit gilt ein Viertel aller Säugetiere als gefährdet. Doch was sind die Ursachen und welche Rolle spielt die Politik dabei? YaaCool sprach mit Magnus Herrmann, Referent für Natur- und Artenschutz beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu) darüber, wie sich das Artensterben aufhalten lässt.
YaaCool: Herr Herrmann, wie kritisch ist die aktuelle Lage bedrohter Tier- und Pflanzenarten?
Magnus Herrmann, Referent für Natur- und Artenschutz: Wenn wir die Rote Liste gefährdeter Tiere als Indikator, also sozusagen als Fieberthermometer nehmen, dann sehen wir, dass sich die Situation verschlimmert hat. Zwar können wir auch einzelne Erfolge vorweisen - beispielsweise wurden der Uhu und der Wanderfalke bisher vor dem Aussterben bewahrt - aber insgesamt bietet sich uns ein düsteres Bild.
Welche Tierarten sind zum Beispiel in Deutschland ganz akut bedroht?
Magnus Herrmann: Ein trauriges Beispiel ist der Wolf, der hierzulande lange Zeit als ausgerottet galt. Heute leben etwa 40 bis 50 aus Polen eingewanderte Tiere frei in Deutschland. Doch ihr Überleben ist bereits wieder in Gefahr, denn Jäger erschießen einzelne Tiere. Das ist eine illegale Handlung: Das Töten bedrohter Tierarten verstößt gegen das Bundesnaturschutzgesetz!
Was genau schreibt das Bundesnaturschutzgesetz vor?
Magnus Herrmann: Es legt fest vor, welche Arten überhaupt geschützt werden müssen und wie wir mit den bedrohten Tier- und Pflanzenarten umgehen sollen. Aber natürlich gibt es auch hier wieder Ausnahmen: Wenn zum Beispiel die Sicherheit von Menschen auf dem Spiel steht, dann hat das Vorrang.
Was sind die Ursachen für das Artensterben?
Magnus Herrmann: Einer der wichtigsten Gründe ist die Intensivierung der Land- und Forstwirtschaft. Immer mehr Flächen werden kultiviert und können den Tieren und Pflanzen nicht mehr den Lebensraum bieten, den sie zum Überleben brauchen: Eine wildgewachsene Wiese beherbergt und ernährt natürlich viel mehr Insekten, Vögel und andere Tiere als ein Maisacker. Darüber hinaus spielt auch der Klimawandel eine Rolle. Wenn sich die Temperatur und der Niederschlag verändern, müssen Tiere sich anpassen oder in andere Gebiete vordringen. Vielfach haben sie jedoch gar keine Ausweichmöglichkeiten mehr.
Wie können wir dem Verlust der biologischen Vielfalt entgegen wirken?
Magnus Herrmann: Wir brauchen in Deutschland dringend ein gutes und bundesweit einheitliches Artenschutzrecht. Im Jahr 2007 wurden einige vom Aussterben bedrohte Tierarten einfach wieder aus dem Gesetz herausgenommen – das ist nicht Sinn der Sache. Zweitens müssen Fördergelder für die Landwirtschaft mit Maßnahmen für den Artenschutz verknüpft werden.
Eine weitere Maßnahme sind konkrete Aktionen wie zum Beispiel die Renaturierung von Flüssen. Der Nabu nimmt gerade ein Projekt in Angriff, um die untere Havel wieder naturnah umzugestalten und dort lebende Arten vor dem Aussterben zu bewahren. Auch die Land- und Forstwirte können einen Beitrag leisten, indem sie einfach alte Bäume im Wald stehen lassen, die als Lebensraum für Käfer dienen, oder im Acker eine kleine Fläche der natürlichen Vegetation überlassen – dort können Feldlerchen dann ihre Nester bauen.
Was hat die weltweite Politik bisher gegen den Artenschwund unternommen?
Magnus Herrmann: Die Weltpolitik ist zwar schwerfällig, aber einiges wurde schon erreicht: Auf dem letzten UN-Umweltgipfel zum "Übereinkommen über die biologische Vielfalt" (CBD) in Bonn im Mai 2008 haben die Teilnehmer zum Beispiel ein Übereinkommen getroffen, das den Meeresschutz auch auf hoher See ermöglicht. Das internationale Ziel, den Artenschwund bis 2010 zu stoppen, können wir jedoch definitiv nicht mehr erreichen. Der Nabu hat deshalb einen Masterplan 2010 entwickelt, ein Maßnahmenkatalog, der konkrete Schritte in Deutschland aufzeigt, um die biologische Vielfalt zu erhalten.
Welche Maßnahmen sieht der Masterplan 2010 vor?
Magnus Herrmann: Der Nabu fordert zum Beispiel, dass zehn Prozent der Waldflächen in unbewirtschaftete Wälder umgewandelt werden. Außerdem brauchen wir ökologische Rückzugsräume wie Hecken, Tümpel oder Brachen, die bedrohten Tierarten einen Lebensraum bieten. Wichtig ist darüber hinaus, das Thema Artenschutz der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Bemüht sich die Bundesregierung genug im Kampf gegen den Artenschwund?
Magnus Herrmann: Da sprechen die Fakten für sich: Es sterben weiterhin Arten aus und jährlich werden bis zu fünf Prozent der Wiesen und Weiden in Ackerland umgewandelt. Die Maßnahmen, die bereits ergriffen wurden, reichen also noch nicht aus. Dabei ist es sehr unklug, Tier- und Pflanzenarten aussterben zu lassen. Nicht nur, weil alle Arten ein natürliches Existenzrecht haben, sondern auch aus rein eigennützigen Überlegungen: Die Pflanzen unserer Erde sind ein wichtiges Potenzial zur Entwicklung von Medikamenten. Davon abgesehen schafft Artenschutz Arbeitsplätze – zum Beispiel im Bereich des Naturtourismus. Und nicht zuletzt bedeutet "unberührte" Natur ja auch Lebensqualität und Erholung.
Wie kann der normale Bundesbürger zum Schutz der Arten beitragen?
Magnus Herrmann: Naturschutz fängt vor der Haustür an! Jeder kann in seinem eigenen Garten zum Beispiel einheimische Blumen anpflanzen, die wichtig sind für unsere Schmetterlinge und Bienen. Der Kauf von Bio-Produkten hilft, weil die ökologische Landwirtschaft den natürlichen Lebensraum zahlreicher Arten schützt. Der Bürger kann außerdem Einfluss ausüben, indem er Kontakt mit Bundestagsabgeordneten aufnimmt oder mit seinem Bauer aus der Umgebung spricht. Wer sich noch stärker engagieren möchte, kann auch als Nabu-Mitglied konkrete Aktionen zum Schutz der Umwelt unterstützen.
Wie sehen Sie die Chancen für eine Verbesserung der Lage?
Magnus Herrmann: Das ist meiner Meinung nach nur eine Frage des Anpackens und Tuns! Wenn wir alle gemeinsam etwas gegen das Artensterben unternehmen, stehen die Chancen gut.
Herr Herrmann, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!
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