Ein Argument, dass häufig gegen regenerative Energiequellen angeführt wird, ist, dass diese nicht ausreichen würden, um die Vollversorgung Deutschlands mit Strom zu gewährleisten – Solar- und Windkraft seien schließlich nicht immer und überall verfügbar.
Kurt Rohrig, stellvertretender Institutsleiter und Bereichsleiter Energiewirtschaft und Netzbetrieb des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) hat nun das Gegenteil bewiesen: Sein "Regeneratives Kombikraftwerk", für das der Forscher mit dem Deutschen Klimaschutzpreis 2009 ausgezeichnet wurde, zeigt, dass es schon heute möglich ist, ganz Deutschland allein aus erneuerbaren Energien zu versorgen – jederzeit und an jedem Ort.
Im großen YaaCool-Interview zum heutigen Weltumwelttag erklärt der Kasseler Wissenschaftler, wie das Kombikraftwerk funktioniert und was getan werden muss, um erneuerbare Energien zu fördern.
YaaCool: Kurt Rohrig, das von Ihnen entwickelte Regenerative Kombikraftwerk soll nachweisen, dass ganz Deutschland mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgt werden kann. Wie ist das möglich?
Kurt Rohrig, stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES): Wind und Fotovoltaik allein können keine sichere Stromversorgung garantieren. Wenn man aber die Biogas- und Biomasseanlagen und große Speicher zusammen mit den fluktuierenden Erzeugern geschickt kombiniert, ist zu jeder Zeit genügend Energie aus den regenerativen Quellen zu holen. Mit diesem Ansatz hat das Regenerative Kombikraftwerk im realen Betrieb demonstriert, dass der elektrische Energieverbrauch im Maßstab 1:10.000 zu jeder Zeit mit erneuerbaren Energien gedeckt werden kann.
Wie genau funktioniert das Kombikraftwerk? Wie werden regenerative Energien miteinander kombiniert?
Kurt Rohrig: Das Kraftwerk ist ein Zusammenschluss von drei Windparks, vier Biogasanlagen und zwanzig Fotovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von 23,7 Megawatt. Diese Anlagen sind informationstechnisch mit einer Leitwarte gekoppelt und werden von dort koordiniert. Als weitere Speicherkomponente ist das Modell des Pumpspeicherwerks (PSW) Goldisthal eingebunden worden. Mit Hilfe von Einspeiseprognosen für Wind und Fotovoltaik werden Fahrpläne für die Biogasanlagen und das PSW erstellt und an die Anlagen gesendet. In Echtzeit ist die Lastkurve Deutschlands im Maßstab 1:10.000 als Sollwert für jede Sekunde durch die Energie des Kombikraftwerks gedeckt worden.
Welches Fazit ziehen Sie?
Kurt Rohrig: Der Test des Kombikraftwerks hat gezeigt, dass das Vorurteil "Erneuerbare Energien können keine Versorgungssicherheit garantieren" nicht länger Bestand hat.
Kann es passieren, dass in der Praxis bei diesem Modell manchmal zu wenig Energie zur Verfügung stehen würde?
Kurt Rohrig: In der heutigen Stromversorgung muss immer exakt so viel Energie erzeugt werden wie verbraucht wird – sonst verändert sich die Netzfrequenz und das System gerät ins Schwanken. Wenn zu wenig Energie erzeugt wird, müssen daher Regelkraftwerke diese Lücke schließen. Für eine rein erneuerbare Stromerzeugung gelten die gleichen Regeln – darum ist der Einsatz von Speichern enorm wichtig.
Was passiert mit überflüssiger Energie?
Kurt Rohrig: Wenn regional zu viel Energie erzeugt wird, wird dies über das Transportnetz in benachbarte Regionen transportiert. Im Europäischen Verbund muss insgesamt jedoch ein Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch herrschen. Überschüssige Energie muss dann gespeichert werden.
Das Kombikraftwerk ist bisher nur ein virtuelles Pilotprojekt. Wie sieht es aus mit der Realisierung? Welche Schritte müssten eingeleitet werden, um ein Kombikraftwerk zu schaffen, dass tatsächlich ganz Deutschland aus erneuerbaren Energiequellen versorgt, und wie schnell wäre das möglich?
Kurt Rohrig: Das Kombikraftwerk hat im kleinen Maßstab die Machbarkeit einer Vollversorgung mit regenerativen Energien gezeigt. Für die Steuerung und das Zusammenspiel wurden keine technischen Neuerungen eingesetzt, sondern es wurde die Funktionalität der heutigen Stromversorgung nur mit regenerativen Energieerzeugern nachgespielt. Um zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien zu kommen, müssen diese konsequent weiter ausgebaut werden. Weiter müssen Anreize geschaffen werden, um die variable Einspeisung von Biogas- und Biomasseanlagen zu fördern und es müssen vorhandene und neue Speichertechnologien wie Elektrofahrzeuge oder flexible Verbraucher verstärkt eingesetzt werden. Letztere sind Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen, Geschirrspüler, Wäschetrockner oder ähnliches, die nicht immer zu einem festen Zeitpunkt starten müssen sondern warten, bis genügend Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wird beziehungsweise der Strompreis besonders günstig ist. Das gleiche gilt für Industrieanlagen oder Kühlhäuser.
Wie sehen Sie die Zukunft regenerativer Energiequellen in Deutschland beziehungsweise in Europa?
Kurt Rohrig: Die erneuerbaren Energien sind aus den Kinderschuhen herausgewachsen und nun konkurrenzfähig zu den konventionellen Kraftwerken. Für den Weg zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien muss Europa auch in der Energieversorgung zusammenwachsen. Dazu gehört auch ein starkes europäisches Stromnetz.
Was kann getan werden, um erneuerbare Energien zu fördern?
Kurt Rohrig: Die Wissenschaft muss dafür sorgen, dass die regenerativen Erzeuger alle Aufgaben (Frequenzregelung, Spannungsregelung, Versorgungswiederaufbau) bei der Energieversorgung übernehmen können, die heute von den konventionellen Kraftwerken erledigt werden. Weiter muss die dargebotsabhängige Energie aus Wind und Sonne (dargebotsabhängig bedeutet, ich bekomme nur Strom aus Wind und Sonne, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint) berechenbar und planbar sein, das heißt die Prognosen müssen weiter verbessert werden.
Planen Sie weitere Forschungen im Bereich der Versorgung mit erneuerbaren Energien?
Kurt Rohrig: Unsere Forschungsaktivitäten zielen darauf ab, regenerativen Erzeugern Kraftwerkseigenschaften zu verleihen. Weiter unterstützen wir die Netzintegration der erneuerbaren Energien durch immer bessere Prognosen und durch neue Betriebsführungsstrategien und wollen durch genaue Simulation von zukünftigen Versorgungsstrukturen den Bedarf von Transportnetzen und Speichern aufzeigen.
Vielen Dank, Herr Rohrig, für das aufschlussreiche Interview!
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