Der Wissenschaftler Ignaz Buerge und seine Kollegen vom Forschungsinstitut Agroscope Changins-Wädenswil ACW in der Schweiz stellten bei Untersuchungen fest, wie sich das Abwasser privater Haushalte in der Natur verteilt. Dazu verfolgten die Experten den Weg des Süßstoffs Acesulfam im Abwasser. Acesulfam ist ein weißer, fester, leicht löslicher Süßstoff, der um das 200-fache süßer schmeckt als Zucker. Im Gegensatz zu Zucker kann der Süßstoff keine Karies verursachen. Darum wird er auch verwendet, um den Geschmack von Zahnpasta zu versüßen. Er ist hunderten Nahrungsmitteln zugesetzt, aber auch einzeln erhältlich. Der menschliche Körper ist nicht in der Lage, Acesulfam zu zersetzen. Deshalb wird Acesulfam nach dem Verzehr unverändert wieder ausgeschieden. Diese Tatsache macht den Stoff für die Forscher um Ignaz Buerge so interessant. Acesulfam widersteht nicht nur den Zersetzungsprozessen des menschlichen Körpers - im Gegensatz zu Substanzen wie Koffein ist es auch von den stärksten Kläranlagen nicht kleinzukriegen. Der Süßstoff verlässt die Kläranlagen in unveränderter Form. Um herauszufinden, welchen Weg das geklärte Abwasser nimmt, mussten die Wissenschaftler aus der Schweiz also nur testen, in welchen Gewässern sich Acesulfam befindet.
Die Forscher des Agroscope-Instituts nahmen in der Schweiz Proben aus vier Flüssen, zehn Kläranlagen und neun Seen. In den meisten Proben fand sich der synthetische Süßstoff Acesulfam tatsächlich wieder. Doch nicht nur dort: In zehn bis zwanzig Prozent der 100 von den Wissenschaftlern untersuchten Grundwasserproben wurde ebenfalls Acesulfam gefunden. Grundwasser besteht also auch aus Klärwasser. Nach den Aussagen der Experten soll dies gesundheitlich unbedenklich sein, da das Wasser in der Kläranlage ja gereinigt worden ist.
Anders sieht die Situation bei Koffein aus: Koffein wird ebenfalls als sogenannter Tracer benutzt, mit dessen Hilfe Wissenschaftler dem Wasser auf der Spur bleiben. Allerdings wird Koffein in der Kläranlage zersetzt – also wäre Koffein im Grundwasser ein Hinweis darauf, dass sich irgendwo in einer Abwasserleitung ein Leck befindet und ungeklärtes Abwasser in den Kreislauf gelangt.
Insgesamt wurden in ländlichen Gegenden erwartungsgemäß weniger Rückstände gefunden als in dichter besiedelten Landstrichen. Durch die Verfolgung des Wassers ist es möglich, verschiedene Quellen für die Verunreinigung von Grundwasser zu unterscheiden. In der Schweiz wird oft unbehandeltes Grundwasser als Trinkwasser benutzt. In untersuchten Trinkwasserproben fanden die Experten des Agroscope Instituts deshalb ebenfalls Acesulfam.
In Deutschland gelangen gleichfalls synthetische Süßstoffe in den Wasserkreislauf: Das haben Wissenschaftler des Technologiezentrums Wasser (TZW) in Karlsruhe herausgefunden. Die Forscher um Frank Thomas Lange, Heinz-Jürgen Brauch und Marco Scheurer haben mehrere Flüsse, darunter die Donau, den Neckar, den Rhein und den Main sowie Wasserproben aus den beiden Kläranlagen Karlsruhe und Eggenstein-Leopoldshafen untersucht. Die synthetischen Süßstoffe Acesulfam, Cyclamat, Saccharin und Sucralose wurden in allen getesteten Wasserproben gefunden.
Die bislang gefundenen Mengen des Süßstoffes sind nach Aussagen der Experten so niedrig, dass der Mensch sich keine Sorgen um seine Gesundheit zu machen braucht. Trotzdem bleibt bei dem Gedanken daran, dass die Umwelt einer Substanz ausgesetzt wird, die sich offenbar nicht zersetzen lässt, ein mulmiges Gefühl zurück.