YaaCool: Frau Dechantsreiter, für den Bau neuer Gebäude werden große Mengen an Rohstoffen verbraucht. Können Sie Zahlen nennen?
Ute Dechantsreiter, Architektin für Sanierung: Laut der Studie "Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt" des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie von 2008 werden in Deutschland jährlich ganze 700 bis 800 Millionen Tonnen an Rohstoffen für Bauen und Wohnen verbraucht.Wie viele Materialien und Produkte, die bei Umbau oder Abriss von Gebäuden anfallen, werden einfach weggeschmissen?
Ute Dechantsreiter: Bisher wurden im Prinzip alle alten Bauteile weggeschmissen - unabhängig davon, ob diese noch zu gebrauchen waren oder nicht. Eine Ausnahme bilden historische Materialien, für die sich oft noch Interessenten finden.Leider haben wir in Deutschland immer noch Abbruchmethoden, bei denen kaum Materialien und Bauteile unbeschädigt bleiben und wiederverwendet werden können. Daher ist es nur möglich, Bauteile weiter zu nutzen, wenn wir diese vor dem Abbruch aus dem Gebäude bergen.
Was genau ist die "Bauteilbörse Bremen"?
Ute Dechantsreiter: Die Bauteilbörse Bremen wurde 2002 als Pilotprojekt ins Leben gerufen. Ziel ist es, gebrauchte Bauteile zu bergen und an Interessenten weiterzuleiten. Ursprünglich hatten wir "nur" eine Internetseite geplant, auf der Kunden zur Verfügung stehende gebrauchte Bauteile finden und erwerben können. Doch wer alte Bauteile kauft, will diese auch anfassen, vermessen und deren Qualität überprüfen. Daher richteten wir auch ein Lager ein, das unsere Kunden bei Interesse aufsuchen können.Wie können Interessierte bundesweit Bauteile finden?
Ute Dechantsreiter: Die Internetseite des Bauteilnetzes Deutschland (siehe Link unten) bietet in einem Bauteilkatalog ein breites Sortiment verschiedenster Bauteile von Treppen, Türen und Fenstern über Heizungen, Waschbecken und Deckenleuchten bis hin zu Fliesen und Holzdielen. Zu jedem Objekt findet der Kunde detaillierte Angaben zu Farbe, Größe und Zustand sowie oft einen Hinweis darauf, woher das Bauteil stammt. Es kann sowohl nach Regionen als auch nach den Maßen gewünschter Bauteile gefiltert werden.Woher stammen die gebrauchten Bauteile denn in der Regel?
Ute Dechantsreiter: Die gebrauchten Bauteile werden uns zum Beispiel von öffentlichen Trägern, Handwerkern oder Privatpersonen angeboten. Ein anderer Weg ist, die Materialien und Gegenstände nach Absprache mit dem Abbruchunternehmer aus einem zum Abbruch bestimmten Gebäude zu bergen. Ich würde schätzen, dass wir auf einer Baustelle durchschnittlich vier bis zehn Prozent der Bauteile wiederverwenden können. Wir arbeiten allerdings noch an einer besseren Kommunikation mit den Abbruchunternehmen.In welchen anderen Städten konnten regionale Bauteilbörsen eingerichtet werden?
Ute Dechantsreiter: Als unser Pilotprojekt erste Erfolge verzeichnen konnte, bekamen wir Anfragen aus Hannover und Gießen. Bald darauf initiierten wir das Bauteilnetz Deutschland, um im Verbund weitere regionale Bauteilbörsen einzurichten. Neben der in Bremen gibt es bereits Börsen für gebrauchte Bauteile in Hannover, Gießen, Augsburg und Berlin-Brandenburg und Oldenburg. Die Bauteilbörsen in Gronau, Köln, Herzogenrath, Weißenburg und Nordhausen werden derzeit aufgebaut, können aber schon angesprochen werden.Wie wird sichergestellt, dass die gebrauchten Bauteile noch qualitativ einwandfrei und sicher sind?
Ute Dechantsreiter: Die Bauteile werden von den Börsen-Mitarbeitern in mehreren Stufen auf ihre Brauchbarkeit und Qualität hin untersucht. Dazu gehört als erstes eine Prüfung vor Ort, bei der festgestellt wird, ob das Bauteil in irgendeiner Weise beschädigt ist oder Mängel aufweist. Danach werden die Bauteile gegebenenfalls in einer Materialprüfanstalt auf Schadstoffe wie Asbest, Formaldehyd oder PCB (polychlorierte Biphenyle, Anmerkung der Redaktion) geprüft. Dabei ist es auch wichtig, die Historie des Gebäudes zu kennen, denn die gibt bereits Hinweise auf die verwendeten Materialien. Wenn Bauteile als tragende Materialien eingesetzt werden, muss der verantwortliche Bauleiter oder Statiker zudem feststellen, ob sie noch stabil genug sind. Darauf weisen unsere Mitarbeiter hin.Das Bauteilnetz Deutschland ist unter anderem dazu da, diese Qualitätsmerkmale auch in den neu entstandenen Bauteilbörsen aufrecht zu erhalten und über Teilnehmertreffen den Austausch untereinander zu ermöglichen. Neue Initiatoren von Bauteilbörsen erhalten von uns Beratung sowie Lager- und Schadstoffschulungen, um ihnen das nötige Fachwissen zu vermitteln.
Welche Vorteile hat die Bergung und Wiederverwendung gebrauchter Bauteile?
Ute Dechantsreiter: Die Wiederverwendung alter Bauteile bringt einen großen Nutzen mit sich – sowohl für einzelne Personen wie Abbruchunternehmer oder Privatpersonen, die ein Haus bauen wollen, als auch für die Umwelt:Für Abbruchunternehmer lohnt es sich, alte, noch wiederverwendbare Materialien vor dem Abbruch aus dem Gebäude entfernen zu lassen, denn diese gehören oft zu den sogenannten "Störstoffen". So werden in der Branche Bauteile bezeichnet, die bei Abbruch die Gewinnung von reinem Bauschutt (mineralisch) erschweren. Das ist für Abbruchunternehmer ein Nachteil, denn während sauber getrennte Materialien leicht und günstig entsorgt werden können, ist die Entsorgung gemischter Materialien mit größerem Aufwand und höheren Kosten verbunden.
Die Käufer gebrauchter Bauteile profitieren, weil sie gut erhaltene und qualitativ hochwertige Materialien und Gegenstände für etwa die Hälfte oder ein Drittel des Neupreises erwerben können. So können sie preisgünstig und gleichzeitig ökologisch bauen.
Und schließlich ist die Wiederverwendung alter Bauteile gut für die Umwelt, denn es wird keine Energie aufgewandt und kein CO2 freigesetzt, um neue Materialien zu produzieren. Zudem reduziert sich die Menge an Müll.
Das Kreislauf-Konzept der Wiederverwendung funktioniert allerdings nur, wenn beim Bauen neuer Häuser darauf geachtet wird, dass diese später wieder leicht zu demontieren sind: Nur wenn einzelne Bauteile gut und ohne Schaden zu nehmen voneinander getrennt werden können, ist es möglich, sie woanders wieder einzusetzen!
Werden gebrauchte Bauteile durch die Bauteilbörsen nur wiederverwendet oder auch recycelt?
Ute Dechantsreiter: Im Rahmen unseres Projekts werden alte Bauteile ausschließlich wiederverwendet. Es ist aus ökologischer Sichtweise nicht sinnvoll, bereits verarbeitete Bauteile zu recyceln, also zu etwas Neuem zu verarbeiten, denn schließlich wurde ja schon jede Menge Energie in das fertige Produkt hineingesteckt. Nur um einen einzigen Stein herzustellen, benötigt man beispielsweise etwa 0,2 bis 0,3 Liter Öl – das ist in etwa soviel wie in eine Bierflasche passt.Darüber hinaus ist es bei uns aber möglich, alte Bauteile weiterzuverwenden, das heißt, diese zu einem anderen Zweck einzusetzen: Aus einer Tür kann beispielsweise eine Wandverkleidung werden oder ein Treppenauftritt wird zur Fensterbank umfunktioniert – denn dabei sind nur minimale Änderungen am Objekt nötig.
Wer nutzt bisher die Bauteilbörsen, um gebrauchte Materialien zu erwerben?
Ute Dechantsreiter: Etwa 80 Prozent unserer Kunden sind Privatpersonen - und ganz besonders solche, die gerade selbst ein Haus bauen. Darüber hinaus gehören zu unseren Kunden auch Architekten, die sich häufig für historische Bauteile interessieren. Auch Wohnungsbaugesellschaften und Kirchen haben schon ihr Interesse bekundet oder Bauteile erworben. Schätzungsweise verkaufen wir im Moment etwa 1.500 Bauteile pro Jahr – ein Bauteil kann hier aber sowohl 3.000 Dachsteine als auch eine einzelne Türklinke meinen. Der Zeitgeist zum Sparen und Ressourcen schonen ist da!Wie finanziert sich das Projekt? Von wem wird es gefördert?
Ute Dechantsreiter: Das Projekt Bauteilnetz Deutschland wurde von 2006 bis 2009 von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) finanziell unterstützt.Die Finanzierung der regionalen Bauteilbörsen gestaltet sich dagegen ganz unterschiedlich: Die Bauteilbörse Bremen finanziert sich weitestgehend selbst über den Verkauf der Bauteile und andere Tätigkeiten wie Beratung sowie über Zuschüsse. Andere Bauteilbörsen werden zum Beispiel von Bildungsträgern oder kirchlichen Institutionen finanziert, in denen oft auch Arbeitslose qualifiziert werden.