YaaCool: Herr Dr. Christopher Zimmermann, auf der Jahrestagung des ICES haben Experten vor der weltweiten Überfischung der Meere gewarnt. Dürfen wir überhaupt noch Fisch essen?
Dr. Christopher Zimmermann, Institut für Ostseefischerei Rostock der Bundesforschungsanstalt für Fischerei (BFA) und deutsches Mitglied des ICES: Natürlich dürfen wir noch Fisch essen – Fisch ist gesund und schmeckt, und entgegen anders lautender Meldungen ist keine der vom Menschen genutzten Massenfischarten vom Aussterben bedroht. Es werden nur viel zu viele Bestände übernutzt, was mittelfristig bedeutet, dass sie viel weniger Fisch liefern als sie eigentlich könnten, wenn sie in gutem Zustand wären.Außerdem gibt es für die allermeisten Fischarten Bestände, die sich in gutem oder wenigstens besserem Zustand befinden – den weltweit größten Herings- und Kabeljaubeständen geht es zurzeit zum Beispiel ganz ausgezeichnet, sie liefern mehr Ertrag als alle anderen Bestände der jeweiligen Art zusammen. Der Handel und der Kunde sollten nur einfach genau hinsehen, was für Fisch sie kaufen ...
Welche Fischarten aus welchen Beständen sind momentan unbedenklich?
Dr. Christopher Zimmermann: Im Moment sind im Nordost-Atlantik die Kabeljaubestände vom Barentsmeer-Kabeljau sowie Dorsch aus der östlichen Ostsee in gutem Zustand. Außerdem können Sie unbesorgt zum Norwegischen Frühjahrslaichenden Hering sowie zu Scholle und Seezunge aus der Nordsee greifen. Die Bestände des Seelachses sind momentan fast überall gut erholt, insbesondere aber in der Nordsee und im Barentsmeer. Auch Nordostatlantische Makrele und Nördlicher Seehecht sind unbedenklich. Der "grüne Bereich" bezieht sich hier aber immer nur auf den Zielartbestand, nicht auf eventuelle Wechselwirkungen mit anderen Arten oder mit der Meeresumwelt.Wie kritisch ist die Lage der bedrohten Fischbestände?
Dr. Christopher Zimmermann: Einige Bestände werden selbst bei konsequenter Schonung vermutlich viele Jahre benötigen, ehe sie wieder in gutem Zustand sind. Bei einigen von diesen ist noch nicht einmal der Wille erkennbar, die Bedingungen für eine Erholung zu verbessern, zum Beispiel beim Iberischen Seehecht.Andererseits zeigt das Beispiel des Dorschs der östlichen Ostsee, dass sich selbst ein stark überfischter Bestand innerhalb weniger Jahre erholen kann – das Potential der marinen Fischbestände ist unglaublich hoch. In diesem Fall hatten wir etwas Glück mit der Nachwuchsproduktion, und gleichzeitig wurde die Entnahme durch die Fischerei drastisch reduziert, vor allem durch die weitgehende Unterbindung der illegalen Fischerei.
Wie geht es den Fischbeständen in der Ostsee?
Dr. Christopher Zimmermann: Auch der zweite Dorschbestand in der Ostsee, der westliche vor unserer Haustür, zeigt Erholungstendenzen: Der 2008er-Jahrgang erscheint derzeit so stark, dass er den Bestand schnell wieder aufbauen könnte.Unser Sorgenkind ist im Moment der Hering der westlichen Ostsee. Dieser zeigt seit 2004 eine immer schwächer werdende Nachwuchsproduktion. Da die Fischerei nur ernten kann, was die Natur zur Verfügung stellt, werden die Fangmengen weiter sinken müssen.
Den anderen kleinen Schwarmfischbeständen wie Heringen und Sprotten in der Ostsee geht es soweit gut, sie werden allerdings durch den sich stark vermehrenden Dorschbestand in Zukunft dezimiert werden.
Welche Faktoren tragen dazu bei, die Fischbestände zu dezimieren?
Dr. Christopher Zimmermann: Die Fischerei hat in den allermeisten Meeresgebieten den wesentlichen Einfluss auf den Zustand der Fischbestände, und die IUU (illegale, unregulierte, unberichtete) Fischerei ist ein Teil davon, den man durch bessere Kontrollen vermutlich am einfachsten beseitigen könnte.Welche Rolle spielt der Klimawandel dabei?
Dr. Christopher Zimmermann: Die Umwelt spielt insbesondere für die Nachwuchsproduktion eine erhebliche Rolle – der Klimawandel wird die Erholungsmöglichkeiten der kälteliebenden Arten wie Kabeljau reduzieren.In der Ostsee ist alles noch etwas komplizierter: Weil die Ostsee ein Brackwassermeer ist, leben die Meeresfische an ihrer physiologischen Verbreitungsgrenze. Hier haben die Umweltbedingungen (insbesondere Salz- und Sauerstoffgehalte) einen großen Einfluss, der ein noch vorsichtigeres Management erfordert. Auch der nachlassende Nachwuchs der Heringe der westlichen Ostsee hat nach unseren Erkenntnissen mit der Fischerei nichts zu tun, sondern eben mit veränderten Umweltbedingungen.
Der ICES gibt jedes Jahr Empfehlungen für Fangquoten heraus, um die Bestände vor der Überfischung zu schützen. Ist das sinnvoll?
Dr. Christopher Zimmermann: Als deutsches Mitglied in dem Gremium des ICES, das diese Fangempfehlungen formuliert, halte ich natürlich viel von der wissenschaftlichen Empfehlung. Sie müssen die Grundlage eines nachhaltigen Fischereimanagements sein, weil die Fischerei eben nur entnehmen kann, was nachwächst. Leider weichen die dann beschlossenen Fangmengen noch immer viel zu oft von der Empfehlung ab, was insbesondere dann schwierig wird, wenn dies asymmetrisch erfolgt, also die Fangmengen immer wieder schneller angehoben als abgesenkt werden.Viele Fischer werfen Beifänge wieder über Bord, weil sie nur Fangquoten für eine bestimmte Art haben. So sollen für einen Speisefisch auf dem Teller bis zu neun weitere Fische sinnlos getötet werden. Was empfehlen Sie?
Dr. Christopher Zimmermann: Wir empfehlen, dass alle gefangenen Fische (egal, ob erwünscht oder unerwünscht) gezählt werden und (wenn es eine Quote für diese Art gibt) auch auf die Quote angerechnet werden sollten. Im Grunde benötigen wir ein Anlandegebot: Aller gefangener Fisch kommt mit an Land. Die Fischerei wird dann schnell nach Wegen suchen, die Netze so selektiv zu gestalten, dass nur noch "erwünschter" und vermarktbarer Fisch aus dem Meer gezogen wird – und nur Fisch, der im Meer bleibt, kann weiter wachsen und später mehr Ertrag bringen.Die Menge an Rückwürfen ist von Fischerei zu Fischerei allerdings sehr unterschiedlich: Es gibt Fischereien, die weniger als 5 Prozent unerwünschten Beifang aufweisen, andere (wie die gemischte Plattfischfischerei in der Nordsee) hat dagegen Discards von bis zu 75 Prozent.
Was genau verstehen Sie unter nachhaltiger Fischerei?
Dr. Christopher Zimmermann: Nachhaltige Fischerei bedeutet für mich einfach, dass für künftige Nutzer der Ressource, also Fischer, Händler und Verbraucher, genügend Fisch zur Verfügung steht. Dazu gehört natürlich eine intakte Meeresumwelt, das Fischereimanagement kann sich also nicht nur auf den Zustand der Zielartbestände beschränken.Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, um nachhaltige Fischerei zu gewährleisten?
Dr. Christopher Zimmermann: Die Maßnahmen für eine nachhaltigere Fischerei sind vielfältig und müssen regional angepasst sein (was in der Ostsee funktioniert, muss in der Biskaya noch lange nicht funktionieren). Die einfachsten Maßnahmen betreffen den Einsatz selektiverer Fanggeräte, viel weiter geht eine weitgehende Änderung des Managementansatzes: Fischer müssten mehr Verantwortung für die von ihnen genutzte, aber der Gemeinschaft gehörende Ressource übernehmen, wir sollten Anreize für regelkonformes Handeln schaffen und dafür die vielen und teilweise widersprüchlichen Regularien der EU weitgehend abschaffen.Die EU will 2012 die gesamte Fischereipolitik reformieren und mithilfe von Zielvorgaben kontrollieren, wie viel gefischt wird. Ein Vorschlag ist zum Beispiel, eine bestimmte Anzahl von Fangtagen festzulegen. Auch ein Punktesystem ist geplant, um Regelverstöße zu bestrafen. Was halten Sie davon?
Dr. Christopher Zimmermann: Viele der nun vorgeschlagenen Maßnahmen halten wir für sinnvoll, insbesondere die Abkehr von detailliertesten technischen Vorschriften hin zu einem ergebnisorientierten Management. Das meint: Wir schreiben nicht mehr vor, wie genau das verwendete Netz auszusehen hat, sondern wie viel Fisch entnommen werden darf.Den Wechsel zu einem Aufwandsmanagementsystem ("Seetageregelung") halten wir dagegen nicht für zielführend: Das Problem der Überkapazitäten in den europäischen Flotten wird damit nicht schnell genug gelöst und es entstehen neue Ungerechtigkeiten. Ein Seetag ist ein sehr ungenaues Maß, denn große Schiffe, die in der Nähe des Fangplatzes beheimatet sind, können natürlich an einem Tag viel mehr Fisch fangen als kleine, die einen weiten Weg zurücklegen müssen, bevor sie die Netze auswerfen können. Und schließlich würden Flotten, die bereits in den letzten Jahrzehnten abgebaut wurden, nun zusätzlich bestraft. Wir glauben, dass man mit einer Limitierung der Höchstfangmenge und wenigen zusätzlichen Regeln wie dem Anlandegebot Fischbestände nachhaltig bewirtschaften kann.