YaaCool: Sarah Bormann, warum ist die entwicklungspolitische Organisation Weed dem Aktionsbündnis gegen die Ausbeutung mit Steuergeldern beigetreten?
Sarah Bormann, Diplom-Politologin und Mitarbeiterin bei Weed: Weed engagiert sich seit Jahren für eine sozial-ökologische Beschaffungspraxis. Es kann nicht sein, dass mit öffentlichen Geldern Produkte gekauft werden, bei deren Herstellung gegen grundlegende Arbeits- und Menschenrechte verstoßen wird.Seit 2009 haben wir in Deutschland ein neues Vergaberecht, soziale und ökologische Kriterien können berücksichtigt werden. Nun ist der Bund gefragt, damit diese Kann-Regelung auch in die Praxis umgesetzt wird. Die Umstellung auf eine sozial-ökologische Beschaffungspraxis muss aktiv gefördert werden. Deshalb unterstützt Weed das Aktionsbündnis und fordert vom Bund einen "Aktionsplan sozial-ökologische Auftragsvergabe".
Welche sozialen und ökologischen Standards missachtet der Staat, wenn er öffentliche Straßen baut oder Behörden ausstattet?
Sarah Bormann: Noch immer gilt leider bei vielen Ausschreibungen, dass das billigste Angebot den Zuschlag erhält. Es müssen aber auch ökologische Kriterien wie zum Beispiel CO2-Ausstoß oder Energieverbrauch bei der öffentlichen Auftragsvergabe berücksichtigt werden. Das Gleiche gilt für soziale Kriterien: Arbeits- und Sozialstandards in Deutschland und Europa sollten vor allem Tariftreue und die Zahlung von Mindestlöhnen sein. Weitere soziale Kriterien hierzulande sind unter anderem Familienfreundlichkeit und die Förderung gesunder Arbeitsverhältnisse.Als Weed befassen wir uns primär mit den Nord-Süd-Beziehungen, deshalb liegt auch bei der öffentlichen Auftragsvergabe unser Fokus auf Produkten wie Computer, die überwiegend in China hergestellt werden.
Man muss davon ausgehen, dass ein Großteil der Computer auf deutschen Amtstischen unter Missachtung grundlegender Arbeitsrechte hergestellt wurde. Dazu zählen vor allem die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO). Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen ist bei der PC-Produktion oft nicht gewährleistet. Darüber hinaus wird gegen weitere Standards der IAO verstoßen, so werden zum Beispiel keine existenzsichernden Löhne gezahlt, die Arbeitszeiten sind überlang und der Gesundheitsschutz ist absolut mangelhaft.
In welchen Bereichen kauft der Staat lieber billig als ökologisch korrekt? Können Sie konkrete Beispiele nennen?
Sarah Bormann: Bestes Beispiel ist hier die letzte Ausschreibung der Bundesanstalt für Immobilien vom Februar 2009. Die Behörde hat mit einer europaweiten Ausschreibung nach Unternehmen gesucht, die insgesamt 178 Millionen Kilowattstunden pro Jahr liefern. Zuvor hat die Behörde beim Kanzleramt und den Ministerien angefragt, ob sie Ökostrom beziehen wollen. Diese Möglichkeit haben aber nur das Umwelt- und Verkehrsministerium ergriffen, die Kanzlerin hat sich gegen Ökostrom entschieden.Was sind die Konsequenzen dieses Handelns für die Umwelt und die Menschenrechte?
Sarah Bormann: Im Jahr kauft die öffentliche Hand für rund 360.000 Milliarden Euro Dienstleistungen und Produkte ein. Solange die öffentliche Hand eine Geiz-ist-geil-Strategie verfolgt, fördert sie damit Umweltschäden sowie menschenunwürdige Arbeitsbedingungen. Wir haben derzeit einen weltweiten Wettlauf um niedrige Arbeits- und Umweltstandards. Die öffentliche Hand sollte diesen nicht noch antreiben.Was genau fordert das Aktionsbündnis von der neuen Regierung?
Sarah Bormann: Nach der Reform des deutschen Vergaberechts 2009 haben wir eine Kann-Regelung: Soziale und ökologische Kriterien können berücksichtigt werden. Im Koalitionsvertrag wird nun angekündigt, dass diese "vergabefremden Kriterien" überprüft werden sollen. Offensichtlich soll rückgängig gemacht werden, was europäisches Recht ist und auch durch den europäischen Gerichtshof bereits bestätigt wurde.Wir wollen, dass der Staat Verantwortung übernimmt und nicht nur sozial-ökologische Beschaffung erlaubt, sondern aktiv unterstützt. Deshalb soll beim Bund eine Servicestelle angesiedelt werden. Diese berät öffentliche Einrichtungen - zum Beispiel Kommunen oder auch Universitäten bei der Umstellung ihrer Beschaffungspraxis. Es werden soziale und ökologische Kriterien für bestimmte Produktgruppen entwickelt und eine Unternehmensbank eingerichtet. Zudem führt die Servicestelle Kontrollen durch, womit gerade kleinere Einrichtungen vollkommen überfordert wären. Wir wollen zudem, dass der Bund mit gutem Beispiel vorangeht. Bis 2014 sollten 50 Prozent der Beschaffung unter ökologisch-sozialen Kriterien erfolgen. Bis 2018 fordern wir dann 100 Prozent.
Was bedeutet die Reform des deutschen Vergaberechtes, die im Februar 2009 erfolgte, für die momentane Praxis der öffentlichen Beschaffung?
Sarah Bormann: Mit der Reform des deutschen Vergaberechts hat die Bundesregierung mit reichlicher Verspätung die europäischen Vergaberichtlinien umgesetzt. Nun wurde explizit festgehalten, dass soziale und ökologische Kriterien berücksichtigt werden können. Dies gibt Beschaffungsstellen eine größere Rechtssicherheit, möglich war dies aber auch bereits vor der Reform. Im Vergleich zu Nachbarländern wie den Niederlanden oder Österreich ist Deutschland damit in Punkto sozial-ökologische Beschaffung ein echter Nachzügler.Welche Vorteile hätte es für die Umwelt und den Staat, wenn soziale und ökologische Aspekte bei der öffentlichen Beschaffung berücksichtigt würden?
Sarah Bormann: Weed fordert neben ökologischen Kriterien vor allem auch die Einhaltung sozialer Kriterien. Was der Vorteil hiervon ist? Der Staat hat eine enorme Einkaufsmacht, diese kann er nutzen und öko-faire Produkte nachfragen. Langfristig geht es darum, dass Unternehmen ihre Produktion umstellen, wovon wiederum auch einzelne Verbraucher und Verbraucherinnen einen Nutzen hätten. Außerdem fördert dies bestehende Multistakeholder-Initiativen, die sich für die Einhaltung und Überwachung von Arbeitsrechten in globalen Zulieferketten einsetzen. Was der Staat davon hat? Zunächst hat er hier eine Verantwortung wahrzunehmen. Die Umstellung auf eine öko-soziale Beschaffung muss aber auch nicht immer teurer werden. Die Stadt Münster hat zum Beispiel mit der Umstellung auf energiesparende Flachbildschirme ihren Haushalt um jährlich 14.000 Euro entlastet.Aber selbst wenn es teurer wird, ist dies oft nur kurzfristig gedacht. Denn auch die Nicht-Berücksichtigung sozialer und ökologischer Kriterien ist mit Folgekosten verbunden. Die direkten Einsparpotenziale werden also durch Mehrkosten an anderer Stelle wieder zunichte gemacht, zum Beispiel durch Maßnahmen gegen die massive Umweltzerstörung oder aber durch die Aufstockung von Niedrigstlöhnen durch zusätzliche Sozialleistungen.